9. März 2013
Baden-Württemberg - 2 Jahre nach Fukushima
"Wir können alles - außer Atomausstieg"

 

Es ist naheliegend, dass sich das Augenmerk in Freiburg zu aller erst auf das elsässische Atomkraftwerk Fessenheim richtet. Dessen zwei 880-Megawatt-Reaktoren sind vom Bertoldsbrunnen nur 24 Kilometer Luftlinie entfernt. Doch auch ein Super-GAU in einem der beiden baden-württembergischen Atomkraftwerke kann - je nach Windverhältnissen - Freiburg in eine für Jahrzehnte unbewohnbare Todeszone verwandeln.

Nichts getan

Die "grün-rote" Landesregierung wurde am 27. März 2011 gewählt, 16 Tage nach dem Beginn des Super-GAU im AKW Fukushima Daiichi. In den vergangenen beiden Jahren hat diese Regierung nichts für die Stilllegung der beiden Atom-Reaktoren Philippsburg II und Neckarwestheim II getan. Der Reaktor in Philippsburg bei Karlsruhe (Betriebsbeginn: Mai 1979) überschritt bereits im Jahr 2004 die kritische Betriebsdauer von 25 Jahren, die für Atomkraftwerke ursprünglich vorgesehen war.

Dabei müsste Ministerpräsident Winfried Kretschmann eigentlich wissen, was zu tun wäre: Seine Aufgabe bestand Mitte der 1980er-Jahre als veritabler Ministerialrat darin, unter dem damaligen "Turnschuhminister" Joschka Fischer in Hessen für die Stilllegung des AKW Biblis zu kämpfen. Im Januar 1998 hatte Joschka Fischer sogar in der TV-Sendung "Sabine Christiansen" geprahlt, er habe die Koalition mit dem hessischen SPD-Ministerpräsidenten Holger Börner wegen des AKW Biblis beendet. Tatsächlich jedoch wollte Fischer damals sein Ministeramt trotz Rücktrittsforderung der grünen Basis nicht aufgeben und wurde von Börner entlassen.

Am 25. Mai 2012 veröffentlichte der baden-württembergische Atomminister Franz Untersteller eine Pressemitteilung. Aus dieser geht hervor, dass er den beiden Meilern in Philippsburg und Neckarwestheim "höchste Sicherheit" attestiert. Im Übrigen: Wenn er sie nicht für sicher hielte, müsste er etwas tun.

Politischer Selbstmord

Ebenso wenig bekannt ist heute, dass Winfried Kretschmann im Jahr 2002 einen "politischen Selbstmord" überlebte. Zwei Jahre zuvor hatte die "rot-grüne" Bundesregierung einen Atomausstieg und die Stilllegung des baden-württembergischen Uralt-AKW Obrigheim für das Jahr 2002 angekündigt. Übrigens hatte Gerhard Schröder im Wahlkampf des Jahres 1998 versprochen, innerhalb von vier Jahren sechs Atomkraftwerke stillzulegen. Und erst nach der Bundestagswahl im Herbst 2002 erklärte der wiedergewählte Bundeskanzler, dass es eine Geheimabsprache gegeben habe, wonach im Falle des AKW Obrigheim - entgegen dem veröffentlichten Vertragstext zum angeblichen Atomausstieg - auch eine Strommengen-Übertragung von Neu auf Alt erlaubt sei. Am 14. Oktober 2002, erschien im 'spiegel' ein Interview mit Kretschmann, in dem er gefragt wurde, ob die "Grünen" einer Verlängerung der Betriebsgenehmigung für das AKW Obrigheim zustimmen werden. Kretschmann antwortete: "Ich bin ganz sicher, dass der Parteitag einer substanziellen Verlängerung der Laufzeit nicht zustimmen wird. Wir können unsere Glaubwürdigkeit nicht in einer so zentralen Frage aufs Spiel setzen. Das wäre politischer Selbstmord."

Aufsichtsratsposten

Seit März 2011 hält Kretschmann als Ministerpräsident die Hebel in Händen, mit denen ein Atomkraftwerk in Baden-Württemberg stillgelegt werden kann. Schließlich ist der AKW-Betreiber und Strom-Konzern EnBW zu mehr als 46 Prozent im Besitz der Landes Baden-Württemberg. Doch schon wenige Tage nach der gewonnenen Landtagswahl im März 2011 zeigte sich die neue Landesregierung in bestem Einvernehmen mit EnBW und hievte Gunda Röstel, eine frühere Bundesvorsitzende der "Grünen", auf einen gut dotierten Aufsichtsratsposten.

Energiewende in Baden-Württemberg?

Viele, die am 27. März 2011 zur Wahl gingen, verbanden dies mit der Hoffnung, dass bei einem Sieg von "Grün-Rot" zumindest der Ausbau der erneuerbaren Energien in Baden-Württemberg nicht länger gebremst werde. Doch im Jahr 2011 kamen in Baden-Württemberg nur 6 Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 13 Megawatt hinzu. Im Jahr 2010 - also unter der "Regentschaft" von Stefan Mappus, der die Richtlinienkompetenz des Atomstrom-Konzerns EnBW allzu ungeschminkt exekutierte - waren es immerhin noch 8 Windräder. Und im Jahr 2012 gingen lediglich 9 Windkraftanlagen mit einer Leistung von knapp 19 Megawatt in Betrieb. Bundesweit waren es im vergangenen Jahr 2439 Megawatt Windleistung, die neu ans Netz ging. Wir blieben also auf dem traditionell für Baden-Württemberg reservierten letzten Platz im bundesweiten Ländervergleich und tragen weiter die "rote Laterne".

Zweimal deutscher "Atomausstieg"

Was der vor mehr als zehn Jahren von "Rot-Grün" verkündete Atomausstieg taugte, hat sich in den Jahren, in denen das entsprechende Gesetz galt, herausgestellt. Von 19 Atom-Reaktoren des Jahres 1998 wurden bis zum Jahr 2010 nicht mehr und nicht weniger als zwei stillgelegt. Wenig bekannt ist heute, dass die Bilanz für die Anti-AKW-Bewegung vor 1998, in der Kohl-Ära, deutlich besser war.

Bestandteil des nun im Sommer 2011 unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima erneut angekündigten Atomausstiegs ist die Stilllegung von acht der 17 Atom-Reaktoren. Es handelt sich allerdings nicht etwa um einen "halben Atom-Ausstieg" wie vielfach zu hören war. Denn die acht Reaktoren, die stillgelegt werden sollen, sind ausnahmslos solche, die bereits die auslegungsbedingte Höchstbetriebsdauer von 25 Jahren überschritten hatten. Die Laufzeit von Biblis A (Betriebsbeginn 1975) wurde beispielsweise bereits um 11 Jahre verlängert.

Die für die übrigen neun Reaktoren genannten Abschalt-Jahreszahlen sind irrelevant, da sie nach 2013 liegen, dem Jahr der kommenden Bundestagswahl. Und jede zukünftige Bundesregierung kann dann die Laufzeiten weiter verlängern. Dass ein solcher "Ausstieg aus dem Ausstieg" keineswegs unwahrscheinlich ist, bewies nicht allein der Beschluss von "Schwarz-Gelb" im Herbst 2010, sondern zeigten in den Jahren zuvor die Beispiele Spanien und Schweden, wo der versprochene Atomausstieg ebenfalls gekippt wurde.

Die Stilllegung des Meilers in Philippsburg ist für den 31. Dezember 2019, die des Meilers in Neckarwestheim für den 31. Dezember 2022 angekündigt. Bundestagswahlen werden regulär in den Jahren 2013, 2017 und 2021 stattfinden.

Wann wird das AKW Fessenheim stillgelegt?

Der jetzige französische Präsident François Hollande hatte im Wahlkampf im vergangenen Jahr versprochen, das älteste französische Atomkraftwerk im Jahr 2016 stillzulegen. Im Jahr 2017 muss er sich erneut zur Wahl stellen. Und wie der eigens mit der Stilllegung des AKW Fessenheim betraute Regierungsbeauftragte Francis Rol-Tanguy kürzlich unumwunden klarstellte, ist seine Aufgabe keineswegs "unumkehrbar": Eine im Jahr 2017 demokratisch gewählte Regierung müsse frei über den Weiterbetrieb des AKW Fessenheim entscheiden können.

In Spanien hatte Ministerpräsident José Zapatero im Wahlkampf versprochen, das älteste spanische AKW Garoña im Jahr 2010 stillzulegen. Im Juli 2009 brach Zapatero sein Wahlversprechen und verlängerte die Betriebsdauer des AKW Garoña um vier Jahre. Übrigens bezeichnen sich sowohl Zapatero als auch Hollande als Sozialisten.

Über die Beteiligung des Landes Baden-Württemberg am Strom-Konzern EnBW muss Kretschmann nun indirekt die aktuelle Nachrüstung des AKW Fessenheim mitfinanzieren. Denn diese findet trotz der proklamierten Stilllegung statt. Viele hatten am 27. März 2011 gehofft, die neue baden-württembergische Landesregierung werde dafür sorgen, dass sich EnBW von dieser gefährlichen Beteiligung löst.

Zur Lage in Japan

Nach wie vor fließt radioaktiv belastetes Wasser aus dem Untergrund des AKW Fukushima Daiichi in den Pazifik. Und nach wie vor ist die Strahlenbelastung trotz des meist in Richtung Meer wehenden Windes auch in der Region um Fukushima enorm. Kürzlich wiesen unabhängige WissenschaftlerInnen nach, dass die amtlichen Strahlenmessstationen häufig nur ein bis zwei Drittel des tatsächlichen Wertes anzeigten. Auch in Deutschland ist in der Umgebung jedes Atomkraftwerks die Häufigkeit von Kinderkrebs signifikant erhöht. Für eine Familie, deren Kind an Leukämie erkrankt, ist es nicht sehr interessant, wie hoch die Wahrscheinlichkeit hierfür war.

Sowohl in Japan als auch in Deutschland war im vergangenen Jahr viel von einem Atomausstieg die Rede. In Japan hat sich bereits gezeigt, dass Konzerne wie TEPCO die Richtlinien der Politik bestimmen und die neue Regierung das Wiederanfahren sämtlicher Atomkraftwerke durchzusetzen versucht. Und kampflos werden auch die Konzerne E.on, RWE, Vattenfall und EnBW, die nach wie vor den deutschen Strommarkt beherrschen, keinen Atomausstieg gewähren.

Wie das Beispiel Italien zeigt, kann ein Atomausstieg nur von einer Bevölkerung durchgesetzt werden, die beispielsweise auch bereit ist, Autobahnen und Bahnlinien lahmzulegen.

Atomausstieg ist Handarbeit!

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